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Drehergewebe; Webereiklasse Kunstgewerbeschule Halle unter der Leitung von Benita Koch-Otte; um 1930 Foto: Johanna Rogalla | Objekt: Inv.-Nr. 40-WE-I-69 / © Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle -
Archiv-Ansicht: Drehergewebe; Webereiklasse Kunstgewerbeschule Halle unter der Leitung von Benita Koch-Otte; um 1930 Foto: Johanna Rogalla | Objekt: Inv.-Nr. 40-WE-I-69 / © Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle -
links: Fotograf: Heinrich Koch | Durchscheinende Spannstoffe mit Cellophan, um 1930-1933;
rechts: Werbeprospekt : Raumstoffe. Weberei der Werkstätten der Stadt Halle, um 1930/31links: Inventarnr. S 1.2.1, 24 + 462; rechts: Inventarnr. S 1.11, 83 / © Archiv der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle -
Drehergewebe; Webereiklasse Kunstgewerbeschule Halle unter der Leitung von Benita Koch-Otte; um 1930 Foto: Johanna Rogalla | Objekt: Inv.-Nr. 40-WE-I-69 / © Archiv der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle -
Bindungspatrone mit Schafteinzug und Schlaganweisung / technische Zeichnung Foto: © Johanna Rogalla -
Drehergewebe; Webereiklasse Kunstgewerbeschule Halle unter der Leitung von Benita Koch-Otte; um 1930 Foto: Johanna Rogalla | Objekt: Inv.-Nr. 40-WE-I-69 / © Archiv der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle -
Drehergewebe; Webereiklasse Kunstgewerbeschule Halle unter der Leitung von Benita Koch-Otte; um 1930 Foto: Johanna Rogalla | Objekt: Inv.-Nr. 40-WE-I-69 / © Archiv der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle
o.T. – Drehergewebe
Drehergewebe mit Cellophan, Baumwolle, Plastefäden und Viscose
Das Drehergewebe 1 entstand in den Jahren 1925-1933, in denen Benita Koch-Otte (1892-1972) die Webereiklasse der BURG, damals noch unter dem Namen „Kunstgewerbeschule der Stadt Halle“ leitete. Weitere ähnliche Musterstücke befinden sich im Archiv der BURG Giebichenstein Kunsthochschule Halle.
Schon 1929 setzten die textilen Werkstätten der Kunstgewerbeschule unter der künstlerischen Leitung von Hans Wittwer synthetische Fasern ein, um das Dienstzimmer des Landeshauptmanns der Provinz Sachsen in Merseburg auszustatten. Hierfür wurden Wandspannstoffe aus Rohr, Flauschseide, Jute und Cellophan gefertigt.2 In einem Werbeprospekt (um 1930/31) mit dem Titel „Raumstoffe. Weberei der Werkstätten der Stadt Halle“3 wurden unter anderem Gewebe mit Cellophan sowie chemisch hergestellte Fasern wie Viskose und Vistra beworben. Viskose ist ein zellulosebasiertes Material, das zwar aus Pflanzenfasern gewonnen, jedoch in chemischen Mitteln wie Natronlauge, Kupferammoniumhydroxid oder Kohlenstoffdisulfid gelöst wurde, wodurch eine viskose Masse entstand.4 Aufgrund des seidig-glänzenden Aussehens und haptischen Eigenschaften wurde Viskose auch als „Kunstseide“ bezeichnet.
Unweit von Halle, in Dessau am Bauhaus, kamen synthetische Fasern ebenfalls in der Textilwerkstatt vermehrt zum Einsatz. Esther Cleven (Kunst- und Designhistorikerin) beschreibt in „Cloth Chemistry: The Synthetic Fiber Industry and the Bauhaus around 1930“, dass dies zum einen durch die wirtschaftliche Situation bedingt war und zum Teil sogar von Firmen selbst der Einsatz synthetischer Fasern gefordert wurde.5 So gab es 1930 den Versuch einen „Kunstseidenpakt“ zu beschließen, in dem deutschen Kunstseidenproduzierneden in Aussicht gestellt werden sollte, dass mindestens 90% ihrer Erzeugnisse von Kunstseidenverarbeitenden Betrieben abgenommen würden.6 Dieses Vorhaben scheiterte jedoch, woraufhin ein KVB-Warenzeichen (kurz für Kunstseide-Verkaufsbüro) eingeführt wurde.7 Zum anderen förderte auch die von Hannes Meyer etablierte Lehre und das Leitbild des Bauhaus, welches sich an Gemeinschaft, Funktionalität und günstigen Wohnraum ausrichtete, die Verwendung von günstigen Materialien wie synthetischen Fasern. So war beispielsweise die Bauhäuslerin Otti Berger eine Verfechterin dieses Ideals und gestaltete ihre Entwürfe im Einklang von Qualität und Erschwinglichkeit für die Massen. Im Gegensatz zu Lilly Reich, die von 1932 bis 1933 die Webereiklasse am Bauhaus zuerst in Dessau, dann in Berlin leitete: Lilly Reich bevorzugte offenbar eher kostspieligere Materialien, so schrieb Otti Berger über ihre Kollegin „sie hat nie angst vor zu teuer“ in Bezug auf deren Materialwahl. 8
Ein weiterer Aspekt der Verwendung von synthetischen Materialien, neben Funktion und Preis, stellte ebenfalls die ästhetische Annäherung dar. Sowohl in Halle als auch in Dessau entstanden beispielsweise experimentelle Entwürfe mit Cellophan bzw. „Agfa-Garn“ – ein Material, welches nicht allein zur Herstellung von Textilien konzipiert war. So produzierte die in (Bitterfeld-) Wolfen ansässige Filmfabrik Wolfen, eine Niederlassung der Aktien-Gesellschaft für Anilin-Fabrikation (kurz: AGFA), die Produkte für fotografische Zwecke herstellten. Die Fotografie „Durchscheinende Spannstoffe mit Cellophan“ des Fotografen Heinrich Koch (1896-1934, verheiratet mit Benita Koch-Otte) erforscht die ästhetischen Eigenschaften zusätzlich im fotografischen Medium.9 Die Studierenden der Koch-Otte Klasse wurden neben Färbekursen, in denen nicht nur Seide, sondern auch Kunstseide für studentische Arbeiten verwendet wurde, dazu ermutigt „ein Gewebe zu bilden, ohne fertige Fäden zu benutzen“, wie beispielsweise Span, Metallabfälle, Federn, Draht und weitere Materialien, die sich für die Flächenbildung im Gewebe als Schusseintrag eignen.10
Unter dem politischen Druck der nationalsozialistischen Regierung und einer inszenierten Durchsuchung durch die Geheime Staatspolizei (Gestapo) fasste das Kollegium 1933 den Beschluss zur Selbstauflösung des Bauhauses in Berlin. Erst kurz zuvor, 1932, war die Schule aufgrund eines Antrags der nationalsozialistischen Partei (NSDAP) gegenüber dem Dessauer Stadtrats zur Schließung gezwungen worden und daraufhin nach Berlin umgezogen.11 Die Auswirkungen dieser Kulturpolitik war auch in Halle an der Kunstgewerbeschule zu spüren: so wurden 1933 insgesamt 12 Lehrende entlassen, da sie zuvor „Bauhäusler“ waren. Dies betraf auch die Leiterin der Webereiwerkstatt Benita Koch-Otte und ihren Ehemann Heinrich Koch, die daraufhin nach Prag umsiedelten. Nach dem tödlichen Unfall ihres Ehemannes Heinrich Koch, verlies Benita Koch-Otte Prag bereits 1934, siedelte nach Bielefeld um und fand eine neue Anstellung an den Bodelschwinghschen Anstalten Bethel .12
Das Musterstück für ein Drehergewebe hat eine Gesamtgröße von 15 x 17,5 cm und ist in einem Rapport13 von ca 4,5 cm in der Höhe und 1 cm in der Breite, 30 Schussfäden und 8 Kettfäden, gefertigt. Das hier gezeigte Musterstück ist ein Halbdreher, der oftmals in den flächenbildenden Drehergeweben verwendet findet, im Gegensatz zum Volldreher, der lediglich an Kanten von Geweben eingesetzt wird.14 Drehergewebe im allgemeinen zeichnen sich durch ihre charakteristische Lichtdurchlässigkeit und Schiebefestigkeit aus, da sie zu den engsten Fadenverkreuzungen der Webtechnologie gehören. Dafür muss der Webstuhl über eine spezielle Vorrichtung verfügen, in der die Kettfäden in Steherfäden und Dreherfäden auf den Schäften eingeteilt werden. Im praktischen Sinne umschlingen die Dreherfäden die Steherfäden; passiert dies nach jedem Schusseintrag werden diese als „1-schüssige“ Dreherbindungen bezeichnet. Über die genaue Ausstattung der Webereiwerkstatt zur Zeit Koch-Ottes und Arten der Dreherwebstühle ist wenig bekannt. So verweist die Kunsthistorikerin und Architektin Angela Dolgner in „Benita Koch-Otte an der Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein in Halle“ auf einen Zeitungsbericht von 1929 der Saalezeitung, der lediglich von 15 Webstühlen unterschiedlicher Art schreibt. Jedoch verweist die Autorin auf ein Gespräch mit einer ehemaligen Schülerin der Textilklasse, die sich an 4 Dreherwebstühle in der Werkstatt erinnert.15 Eindrücklich ist die Konstruktion des Kreuzdrehers, da dieser über einen besonders komplizierten Einzug verfügt, für den mindestens zwei Dreherschaftpaare benötigt werden.16 Zusätzlich wird im Einzug, in den Dreherfäden abwechseln, je paar hellbeige und dunkelbeige Baumwolle verwendet.17 In der Konstruktion arbeitet ein Faden jeweils als Hoch- und der andere als Tief-Dreherfaden. Dadurch entsteht eine außergewöhnlich feste Verbindung zwischen Kette und Schuss, was sich insbesondere in der Verwendung glatter bzw. rutschiger Materialien eignet. Innerhalb der Dreherfadenpaare sind die Steherfädenpaare, die optisch eine Leinwandbindung bilden, aus dunkelbraunem Garn (vermutlich Baumwolle) und weiß-glänzender Viskose eingezogen. Insbesondere der 30er-Schussrythmus besticht durch die Verwendung zahlreicher Garne. Neben der Verwendung von natürlichen Materialien, wie Baumwolle, finden sich auch synthetisch hergestellte Fasern, wie Viscose sowie Cellophan und „Plastefäden“, in diesem Musterstück. Wovon etwa Eindrittel eines Rapportes in Schussrichtung des nahezu durchsichtigen Cellophan verwendet wurde. Dies führt zu einer besonders lichtdurchlässigen und leichten Ästhetik. Besondere Steifigkeit entsteht durch die Verwendung der insgesamt 4 beigen Plastefäden. Diese sind ähnlich wie das Cellophan leicht gedreht. Farbliche Tiefe entsteht durch die Verwendung von Baumwollschussgarn in dunklem Braun, 8 Schuss pro Rapport, wie auch durch insgesamt 6 im Rapport gleichmäßig verteilten Schüssen weiß-glänzendem Viskosegarns. Das Musterstück diente wahrscheinlich als Vorlage für einen Vorhangstoff oder eine Wandbespannung. Wie bei den meisten noch enthaltenen Gewebemustern im Archiv der BURG, ist auch bei diesem Design unbekannt, welche:r Gestalter:in innerhalb der Werkstatt den Entwurf erstellte. Jedoch ist davon auszugehen, dass der überwiegende Teil der Werkstattentwürfe auf Lehrlinge bzw. Mitarbeitende zurückzuführen ist, da Benita Koch-Otte diese intensiv in den Gestaltungsprozess der Werkstatt einbezog.18 Insbesondere bei der Entwurfsarbeit, die für Kooperationen mit der Industrie gedacht war. Das Drehergewebe zeigt auf ästhetisch-gestalterische Art wie Funktionalität und der Einsatz neuer Materialien mit hochkomplexen Technologien in der Webereiwerkstatt erforscht wurden.
Herzlichen Dank an das gesamte Team des Archiv der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle für die freundliche Unterstützung.
Die Arbeit entstandt im Rahmen der Chemiefaserlandkarte Sachsen-Anhalt der Halle-Initiative für Textil- und Raumproduktion.
Quellennachweise:
1 Inventar-Nr.: 40-WE-I-69 | © Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle
2 Michael Siebenbrodt (Hrsg.): Die Bauhäuslerin Benita Koch-Otte. Textilgestaltung und Freie Kunst 1920–1933. Weimar 2012 S. 31
3 Burg Archiv & Michael Siebenbrodt (Hrsg.): Die Bauhäuslerin Benita Koch-Otte. Textilgestaltung und Freie Kunst 1920–1933. Weimar 2012 S. 27
4„Cellulose Chemiefasern,“ in Ernst Bartholomé and Fritz Ullmann, eds., Bullmanns Encyklopädie der technischen Chemie, vol 9, 4th ed. (Weinheim et al. 1976), pp. 213-47; zitiert aus Esther Cleven in „Chloth Chemistry: The Synthetic Fiber Industry and the Bauhaus around 1930 in Judith Raum (Hrsg.), Bauhaus-Archiv Berlin / Museum für Gestaltung (Hrsg.), Otti Berger, Berlin 2025. S.172
5 Judith Raum (Hrsg.), Bauhaus-Archiv Berlin / Museum für Gestaltung (Hrsg.): Otti Berger, Berlin 2025. S.171
6 Wirtschaftsgruppe Chemische Industrie, Bundesarchiv, Koblenz, R 13-X/86 und 89 zitiert nach Raum, S. 172
7 E. Albrecht Anke: Kunstseide. Technologie der Kunstfasern, Bd. 7, Berlin 1933, S. 315; Oskar Biercher, Das KVB Handbuch, Berlin 1938, S.17-23; in Raum. S 172
8 Otti Berger: „was war abgemacht worden?“, 1932, BHA, Berger, Mappe 18 zitiert aus: Esther Cleven in „Chloth Chemistry: The Synthetic Fiber Industry and the Bauhaus around 1930 in Judith Raum (Hrsg.), Bauhaus-Archiv Berlin / Museum für Gestaltung (Hg.), Otti Berger, Berlin 2025. S.171
9 Inventar-Nr.: S 1.2.1, 24 + 462 | © Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle
10 Brief von Gerhard Marcus an Wulf Herzogenrath, 31.12.1971, in Benita Koch-Otte: Vom Geheimnis der Farbe, Bethel 1972, S. 28-29, zitiert aus Michael Siebenbrodt (Hrsg.): Die Bauhäuslerin Benita Koch-Otte. Textilgestaltung und Freie Kunst 1920–1933. Weimar 2012 S. 25
11 Stiftung Bauhaus Dessau: Chronologie, auf: https://bauhaus-dessau.de/institution/chronologie/ (abgerufen am 26.11.2025)
12 M. Siebenbrodt S. 32
13 Anmerkung: ein Rapport ist die kleinste wiederholbare Einheit einer Bindung bzw. Gewebemusters
14 M. Kienbaum: Bindungstechnik der Gewebe. Konstruktion und Gestaltung mit warenkundlichen Beispielen. Band 3: Dreher-, Falten-, Flor- und Jaquardgewebe S.1ff
15 M. Siebenbrodt S. 22
16 Anmerkung: „Wegen des komplizierten Einzugs meidet man meistens diese Technik“ in M. Kienbaum S. 8
17 Anmerkung: die Materialangabe in dieser Analyse ist aufgrund der visuellen Eigenschaften bestimmt worden
18 M. Siebenbrodt S.28
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