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Gewebe aus Polyamid, anteilig heißverpresst bei 220 °C © Gewebe: Mona Reich | Foto: Ramona Schacht -
Polyamidgewebe, anteilig heißverpresst © Gewebe: Mona Reich | Foto: Ramona Schacht -
Polyamidgewebe, anteilig heißverpresst © Gewebe: Mona Reich | Foto: Ramona Schacht -
Detail Polyamidgewebe, anteilig heißverpresst © Gewebe: Mona Reich | Foto: Ramona Schacht -
Detailansicht: Polyamidgewebe, anteilig heißverpresst © Gewebe: Mona Reich | Foto: Ramona Schacht
Thermoplaste
Vier physische Materialproben von Mona Reich laden ein, die Materialeigenschaften der Chemiefaser Polyamid physisch zu erfahren und ihre Verwendung zu reflektieren. Eine gängige Praxis zur Identifizierung von Fasermaterialien ist die Brennprobe: Dabei wird die Faser angezündet, um anhand ihres Brennverhaltens eine Aussage über ihre Materialität treffen zu können.
Die künstlerische Arbeit macht sich die thermischen Eigenschaften chemischer Fasern zunutze. Ein Teil des Gewebes wurde heiß verpresst, wodurch Fasern miteinander verschmolzen und anschließend zu einer Folie aushärteten. Anhand dieses Verfahrens wird der synthetische Ursprung der Faser greifbar. Gleichzeitig löst sich das Gewebe am gegenüberliegenden Teil der Folie auf, sodass nur die eingelegten Fäden sichtbar bleiben. Diese dürfen berührt werden, um ein Verständnis für die Haptik der chemischen Faser Polyamid zu vermitteln sowie einen Einblick in die Vielfalt der Garne zu geben, die aus diesem Material gefertigt werden können.
Chemiefasern im Textil: Zwischen Materialeigenschaften und haptischer Erfahrung
Die Produktion von Chemiefasern hatte für die DDR wirtschaftlich und sozial eine starke Bedeutung. Ein Slogan zur Bewerbung der Chemiefaserherstellung lautetet „Brot, Wohlstand und Schönheit durch Chemie“.
Schönheit sollte durch die Farbbrillanz der chemischen Fasern zu den Menschen gebracht werden. In der Tat lassen sich synthetische Fasern besonders gut einfärben und behalten eine konstante Farbechtheit. Insbesondere in der Gegenüberstellung mit natürlichen Fasern, deren Färbungen mit der Zeit verblassen können. Zudem lassen sich chemische Fasern preisgünstig herstellen, was ein wichtiger Treiber für die Entwicklung und großangelegte Produktion der Chemiefaser in Ostdeutschland war, die zum Wohlstand der Bevölkerung beitragen sollte. Hinzu kommt, dass die Qualität der Rohstoffe keinen, durch Umwelteinflüsse verursachten Schwankungen unterliegt, wie es bei Naturfasern der Fall ist. Die Rohstoffe für Chemiefasern standen in großen Mengen preisgünstig zur Verfügung. Für die Planwirtschaft der DDR war die zuverlässige Kalkulierbarkeit der Produktion ein großer Vorteil.
Zusätzlich lassen sich die Eigenschaften einer Chemiefaser durch ihre Herstellungsweise, auf viele Anwendungsbereiche passend modifizieren. Das hört sich sehr positiv an, allerdings bringen Chemiefasern für Umwelt und Natur auch starke Nachteile mit sich. Sowohl in der Produktion werden toxische Stoffe verwendet, wie auch in der Benutzung in Form von Mikropartikeln an die Umwelt abgegeben. Und das größte Problem beginnt häufig erst im Moment der Entsorgung. Die Fasern können nicht einfach in die Umwelt zurückgeführt werden, sondern schädigen die Natur nachhaltig.
Polyamid (PA6 und PA6.6)
Ungefähr zeitgleich wurde in den USA und Europa in den 1930er-Jahren an der Polymerisation von Aminosäuren geforscht. Den Forschenden gelang die Herstellung von Polyamid über leicht unterschiedliche Verfahren auf der Rohstoffbasis Kohle und Petroleum. Die Ergebnisse waren die Entwicklung von PA6.6 der Firma DuPont in den USA und PA6 der IG Farben in Deutschland. Als die beiden Unternehmen sich einander die Patente verkaufen wollten, stellten sie fest, dass beide bereits eine eigene Version besaßen. In der Folge konzentrierten sie sich im Vertrieb auf unterschiedliche Weltregionen. Bis heute wird in Asien und Osteuropa mehrheitlich PA6 produziert und in den USA, Westeuropa und Südamerika PA6.6. Verschiedenheiten liegen vor allem in unterschiedlichen Schmelzpunkten der Fasern, PA6.6 ist etwas hitzebeständiger als PA6.
Zunächst nannte die Firma IG Farben das Material im Handel Perluran, später Perlon L und als eine Westdeutsche Firma diesen Namen für sich beanspruchte, wurde in der DDR der Name „Dederon“ für PA6 gefunden. Dieser ist als Hommage an die Deutsche Demokratische Republik zu verstehen: DeDeRon.
Heute ist PA6 und PA6.6 aus der Textilproduktion nicht mehr wegzudenken und auch in der Automobilbranche und im medizinischen Bereich ist sie nicht ersetzbar. 2020 betrug die weltweite Herstellung 5,2 Millionen Tonnen.
Eigenschaften von Polyamid
Die Wasseraufnahme der Faser ist ähnlich hoch wie von Baumwolle, allerdings wird die Feuchtigkeit gespeichert. Das führt beim Tragen von Kleidung aus Dederon zu hoher Schweiß- und Geruchsbildung. Daher eignet es sich nicht für körpernahe Oberbekleidung, auch wenn die Pflege von Textilien aus Dederon unkompliziert ist und damit zunächst Vorteile bietet.
Polyamide sind sehr robust: Textilien aus Polyamiden zählen zu den stabilsten Chemiefasererzeugnissen. Auch daher werden sie gerne für technische Textilien eingesetzt, die besonders großen Belastungen ausgesetzt sind.
Je nach Spinnverfahren lassen sich die Fasern gut oder schlecht färben. Sind die Fasern verstreckt (gerade gezogen) ist die Oberfläche so gestaltet, dass Farbe nicht mehr gut aufgenommen werden kann. Aus diesem Grund werden, je nach geplantem Färbeverfahren, bereits im Spinnverfahren die entsprechenden Chemikalien hinzugefügt, die die spätere Farbaufnahme der Fasern begünstigen.
Aus Polyamidfasern wird ein breites Sortiment an Textilien hergestellt, bedingt durch die chemische und physikalische Modifizierbarkeit der Fasern, können ganz unterschiedliche Garne erzeugt werden: Sehr feine Qualitäten aus denen Perlon Strumpfhosen und Unterwäsche hergestellte werden, Garne mit einer texturierten Oberfläche und starker Elastizität für Bade- und Sportbekleidung sowie kräftige Fasern für Mantel- und Bezugsstoffe und hochfeste Filamentgarne für Airbags und Fallschirme.
Brennprobe, Unterscheidung und Wertung von Kunst- und Naturfasern
Chemiefasern müssen einen komplexen Prozess durchlaufen, um beispielsweise als geschmeidiges Woll- oder Seidenimitat zu erstrahlen.
In vielerlei Hinsicht übertreffen die Chemiefasern dann aber sogar die Eigenschaften der imitierten Naturfasern. Teilweise ist es selbst für ein geübtes Auge nicht mehr möglich zwischen sogenannter Kunstfaser und Naturfaser zu unterscheiden. Eine gängige Methode zur Bestimmung von Fasern, ist eine Brennprobe. Dafür wird mithilfe von Pinzette, feuerfester Unterlage und Feuerzeug eine Garnprobe angezündet und ihr Brennverhalten analysiert. Bedeutend sind: Geruch, Farbe der Flamme und Brandrückstände.
Eine Unterscheidung zwischen Kunstfaser und Naturfaser ist auf diese Weise möglich, da Geruch und Brandverhalten eindeutig sind.
Naturfasern haben einen deutlich erkennbaren Geruch nach verbranntem Haar (jede Art von tierischer Wolle, Keratin) oder Papier (pflanzliche Fasern), die Rückstände sind bröselig-aschig.
Synthetische Chemiefasern dagegen bilden tropfende, klumpige, zähklebrige und anschließend hart erstarrende Rückstände und haben beißend chemische Gerüche.
Eine zuverlässige Unterscheidung zwischen den einzelnen Chemiefasersorten ist über dieses Verfahren allerdings eher nicht möglich.
Es wird aber deutlich, dass das thermische Verhalten der Fasern Aufschluss über ihr Ursprungsmaterial gibt.
Die abgebildeten textilen Objekte bilden die Reaktion der Chemiefasern auf thermische Behandlung ab und zeigen dadurch den synthetischen Ursprung der Faser. Die Gewebe wurden für ein bis zwei Minuten bei 220°C verpresst, wodurch die Fasern miteinander verschmolzen sind. Dabei entstanden die gleichen toxischen Dämpfe, wie bei einer Verbrennung. Durch die kontrollierte Zufuhr von Hitze, verbrennen die Fasern nicht, aber sie verformen und erkalten anschließend. Die Rückstände sind stabil und gleichen einer Plastikfolie. Jetzt kann auch ein ungeübtes Auge erkennen, dass es sich bei den Fasern des Gewebes um chemische Rohstoffe handelt und eine Vorstellung davon entwickeln, dass Textilien aus dem gleichen Rohstoff wie beispielsweise Kabelbinder hergestellt sind.
Während der Recherche nach Original-Garnen aus der DDR, habe ich auf Ebay gesucht und bin dort mit mehreren Menschen in Kontakt gekommen: Dabei belief sich die Einschätzung von „Schlagt einen Preis vor, ich kann es gar nicht einordnen“ über „sehr günstig“, bis hin zu „Diese DDR Wolle ist eine Rarität und kaum noch zu bekommen. Deshalb möchte ich vom Preis nicht ablassen“.
An dem Umgang und der Bewertung eines Materials lassen sich viele gesellschaftliche und kulturelle Werte ablesen. Zur Zeit der DDR wurden insbesondere die Vorteile der Chemiefasern in den Blick genommen: Hohe Wirtschaftlichkeit und verlässliche Performance des Materials.
Aktuell müssen wir unseren Blick gesellschaftlich stärker auf die Umweltauswirkung von Materialien richten, aber die Wirtschaftlichkeit ist nach wie vor ein fester Bestandteil der Bewertung und Chemiefasern sind bis heute eine deutlich günstigere Alternative gegenüber Naturfasern.
Der Umgang mit Materialien spiegelt die Werte einer Gesellschaft mehr wieder, als die tatsächliche Eignung des Materials.
Um zu einem umweltfreundlichen Umgang mit Materialien zu gelangen ist es wichtig, ihre Vor- und Nachteile möglichst unabhängig von kultureller Wertung, zu betrachten. Diese Arbeit lädt ein, die Materialeigenschaften der Chemiefaser Polyamid physisch zu erfahren und ihre gesellschaftliche Verwendung zu reflektieren.
Die Arbeit entstandt im Rahmen der Chemiefaserlandkarte Sachsen-Anhalt der Halle-Initiative für Textil- und Raumproduktion.
Literaturhinweise:
Veit Dieter: Fasern. Springer Vieweg, 2023, S.680 ff.
- Gestalterin
- Mona Reich
- 2025
- gefördert durch:
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